Recht

Corporate Social Responsibility

Das EU-Lieferkettengesetz: ­Gültigkeit, Pflichten und Haftung

Die neue EU-Lieferkettenrichtlinie, auch EU-Lieferkettengesetz genannt, verpflichtet die Unternehmer zur Überprüfung ihrer Geschäftspartner in Bezug auf Menschenrechte und Klimavorgaben. Sie gilt auch für Schweizer Unternehmen, die Geschäfte in der EU machen.
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Die Europäische Kommission legte am 23. Februar 2022 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur nachhaltigen Unternehmensführung vor. Dieser wurde ab­gelehnt. Am 14. Dezember 2023 wurde eine sogenannte vorläufige politische Einigung für die Richtlinie zwischen der EU-Ratspräsidentschaft und dem euro­päischen Parlament erreicht, die Grundlage für die folgenden Informationen ist. Am 15. März 2024 stimmte die qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU dafür. 

Diese Richtlinie enthält laut Artikel 1 ­Vorschriften über:

  • Die Verpflichtungen von Unternehmen in Bezug auf tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt im Zusammenhang mit ihrer eigenen  Geschäftstätigkeit und der ihrer Tochterunternehmen sowie ihren Geschäftspartnern in den Aktivitätsketten der Unternehmen. 
  • Die Verpflichtung für Unternehmen zu einem Plan zur Minderung der Folgen des Klimawandels.

Diese Richtlinie bezieht sich auch auf ­bereits bestehende internationale Standards für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, zum Beispiel die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, die Leitsätze für multinationale Unternehmen (Guidelines for Multinational En­terprises, MNE-Leitsätze) der OECD, die Empfehlungen der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über multina­tionale Unternehmen und Sozialpolitik.  

Kodex für Sorgfaltspflichten 

Die Sorgfaltspflichten werden in Artikel 5 bis 16 der Richtlinie festgelegt. Diese sind langfristig in die Unternehmens­strategie und die Risikomanagement­systeme des Unternehmens zu integrieren (Artikel 7) und man muss einen Verhaltenskodex erstellen. Das erledigt am besten die Geschäftsleitung. Vorgeschrieben ist eine vorhergehende Konsultation der Beschäftigten des Unternehmens und ihrer Vertreter.

Weiter sind folgende Elemente vorgeschrieben, über die man die Mitarbei­tenden informieren muss:

  • Verfahren zur Durchführung der Sorgfaltspflicht in allen betroffenen Bereichen der Unternehmenspolitik und einschliesslich der Massnahmen zur Überprüfung.
  • Ermittlung und Bewertung tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen der Geschäftstätigkeit (Artikel 8).
  • Unverzügliche Entwicklung und Umsetzung eines Präventionsaktionsplans mit angemessenen und klar festgelegten Zeitplänen für die Umsetzung geeigneter Massnahmen und mit quali­tativen wie quantitativen Indikatoren, um die Verbesserung zu bestimmen (Artikel 10). 
  • Einbezug der Interessenträger (Stakeholder) in das Management der Sorgfaltspflichten (Artikel 13). 
  • Negative Auswirkungen der Geschäftstätigkeit müssen verhindert oder zumindest verringert werden (Artikel 11). Dabei soll man die schwerwiegendsten Auswirkungen zuerst bekämpfen, nachher die mittleren und dann die leichten (Artikel 9).
  • Ein Unternehmen, das negative Auswirkung allein oder gemeinsam mit anderen verursacht hat, hat diese zu korrigieren (Artikel 12). Werden die tatsächlichen negativen Auswirkungen lediglich vom Geschäftspartner des Unternehmens verursacht, so kann das Unternehmen freiwillig Abhilfe leisten bzw. den Geschäftspartner darin un­terstützen. 
  • Die Unternehmensstrategie muss alle zwei Jahre überprüft werden und immer bei wichtigen Änderungen (Artikel 7).
  • Die Muttergesellschaften haben ihre Tochtergesellschaften bei der Erfüllung ihrer Pflichten zu unterstützen (Artikel 6) und die Geschäftsleitungen haben sich gegenseitig alle notwendigen Informationen zu übermitteln.

Fünfjahrespläne fürs Klima

Unternehmen haben einen Plan zur Minderung der Folgen des Klimawandels zu entwickeln und umzusetzen (Artikel 22). Mit diesem soll gewährleistet werden, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihr Geschäftsmodell und ihre Stra­tegie mit der Begrenzung der Erder­wärmung auf 1,5 Grad Celsius, wie sie im Übereinkommen von Paris festgelegt ist, sowie mit dem Ziel der  Klimaneutralität in Einklang zu bringen. 

Die Klimazwischenziele und das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 sowie erfor­derlichenfalls die Beteiligung des Unternehmens an Tätigkeiten in Verbindung mit Kohle, Öl und Gas müssen in dem Plan enthalten sein.

Weiter muss der Plan «auf schlüssigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende zeitgebundene Zielvorgaben im Zusammenhang mit dem Klimawandel für das Jahr 2030 und in Fünfjahresschritten bis 2050» enthalten. 

Weiter ist vorgeschrieben:

  • Eine Beschreibung der ermittelten Dekarbonisierungsfaktoren und der geplanten wichtigsten Massnahmen zur Erreichung der vorgeschriebenen Ziele
  • Notwendige Änderungen des Produkt- und Dienstleistungsportfolios des Unternehmens und der Einführung neuer Technologien
  • Erläuterung und Quantifizierung der Investitionen und Finanzmittel zur Unterstützung der Umsetzung des Plans zur Minderung der Folgen des Klimawandels 
  • Beschreibung der Rolle der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane im Zusammenhang mit dem Plan zur Minderung der Folgen des Klimawandels.

Vertragliche Zusicherungen

Vertragliche Zusicherungen, dass die Lieferkettenrichtlinie befolgt wird, sind von direkten, aber auch von indirekten Geschäftspartnern einzuholen (Artikel 10). In Vertragsklauseln sind geeignete Überprüfungsmöglichkeiten zu vereinbaren.  Wenn sich  negative Auswirkungen nicht beseitigen lassen, soll man die Geschäftsbeziehungen abbrechen (Artikel 10). 

Bei den Verträgen mit anderen Unternehmen ist zu beachten, was nach Artikel 3 eine Aktivitätskette ist: «Tätigkeiten der vorgelagerten Geschäftspartner eines Unternehmens im Zusammenhang mit der Produktion von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch ­dieses Unternehmen, einschliesslich der Entwicklung, Gewinnung, Beschaffung, Herstellung, Beförderung, Lagerung und Lieferung von Rohstoffen, Produkten oder Teilen von Produkten und der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung und die Tätigkeiten der nach­gelagerten Geschäftspartner eines Un­ternehmens im Zusammenhang mit dem Vertrieb, der Beförderung und der La­gerung eines Produkts dieses Unternehmens, sofern die Geschäftspartner diese Tätigkeiten für das Unternehmen oder im Namen des Unternehmens ausüben.»

Kontrollen und Berichte

Die Unternehmen haben unverzüglich nach Eintreten einer wesentlichen Än­derung, mindestens jedoch alle zwölf ­Monate, Bewertungen ihrer eigenen Geschäftstätigkeit und Massnahmen sowie jener ihrer Tochterunternehmen und – sofern sie mit den Aktivitätsketten des Unternehmens in Verbindung stehen – ­jener ihrer Geschäftspartner durchzu­führen (Artikel 15). 

Unternehmen haben über die unter diese Richtlinie fallenden Angelegenheiten Bericht zu erstatten, indem sie auf ihrer Website jährlich eine Erklärung veröffentlichen in mindestens einer der Amtssprachen der EU und innerhalb eines an­gemessenen Zeitraums, spätestens jedoch zwölf Monate nach dem Bilanzstichtag des Geschäftsjahres (Artikel 16).

Die Mitgliedstaaten stellen ab dem 1. Januar 2029 sicher, dass die Unternehmen die jährliche Erklärung gleichzeitig mit ihrer Veröffentlichung an eine Sammelstelle übermitteln können, damit diese ­Informationen in einem zentralen europäischen Zugangsportal (European Single Access Point, ESAP) zugänglich gemacht werden (Artikel 17). 

Die Mitgliedstaaten haben Beschwerde­stellen einzurichten (Artikel 14). Beschwerden über Unternehmen können von natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen und Gewerkschaften ein­gereicht werden. Auch die Unternehmen haben ein gerechtes, öffentlich verfüg­bares, zugängliches, berechenbares und transparentes Verfahren für die Bear­beitung von Beschwerden einzurichten, einschliesslich eines Verfahrens, für den Fall, dass die Beschwerde für unbegründet erachtet wird (Artikel 14). 

Die Identität der Person oder Organisation, die die Beschwerde einreicht, soll vertraulich behandelt werden. Ist eine Beschwerde begründet, muss das Unternehmen Verbesserungsmassnahmen ergreifen. 

Die Mitgliedstaaten erlassen Vorschriften über Sanktionen, einschliesslich Zwangsgelder, die bei Verstössen gegen die gemäss dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften zu verhängen sind, und treffen alle für die Anwendung der Sanktionen erforderlichen Mass­nahmen (Artikel 27). Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismässig und abschreckend sein.

Erweiterung der Gültigkeit 

Die Richtlinie gilt vorläufig für Unternehmen, die nach den Rechtsvorschriften eines EU-Mitgliedstaats oder eines Drittstaates gegründet wurden und eine der fol­genden Bedingungen erfüllen (Artikel 2):

  • Firmen, die im letzten Geschäftsjahr im Durchschnitt mehr als 1000 Mitarbeitende hatten und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 450 000 000 Euro erzielten. 
  • Unternehmen die die oberste Muttergesellschaft einer Gruppe sind, die die Schwellenwerte im letzten Geschäftsjahr erreicht hat.
  • Unternehmen oder die oberste Muttergesellschaft einer Gruppe, die Franchise- oder Lizenzvereinbarungen mit unabhängigen Drittunternehmen geschlossen haben,  sofern diese Vereinbarungen eine gemeinsame Identität, ein gemeinsames Geschäftskonzept und die Anwendung einheitlicher Geschäftsmethoden gewährleisten und sich diese Lizenzgebühren im letzten Geschäftsjahr auf mehr als 22 500 000 Euro beliefen und die Firma einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 80 000 000 Euro erzielt hat.

Nachher ist die Anwendung der Richtlinie sukzessive auf alle Unternehmen zu erweitern, ausgenommen auf solche mit Franchise- oder Lizenzvereinbarungen, siehe oben.

  • Drei Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie sind diese Vorschriften auch für Unternehmen anzuwenden, die im Durchschnitt mehr als 5000 Beschäftigte haben und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 1 500 000 000 Euro erzielen, mit Ausnahme der Massnahmen, die erforderlich sind, um Artikel 11 (Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen) nachzukommen; diese wenden die Mitgliedstaaten auf die genannten Unternehmen für nach dem 1. Januar 2028 beginnende Geschäftsjahre an.
  • Vier Jahre nach Inkrafttreten ist diese Richtlinie auf Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 900 000 000 Euro anzuwenden, mit Ausnahme der Massnahmen, die erforderlich sind, um Artikel 16 (Verpflichtung, eine jährliche Erklärung zu ver­öffentlichen) nachzukommen. Diese wenden die Mitgliedstaaten auf die genannten Unternehmen für Geschäftsjahre ab 2029 an.

Wichtig: Fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gilt diese für alle Unternehmen, auch solche mit Lizenz- und Franchisevereinbarungen.

Leitlinien und Klauseln

Die EU-Kommission entwickelt mit den Mitgliedstaaten und Interessenträgern allgemeine Leitlinien und solche für bestimmte Branchen. Innerhalb von 30 Monaten nach Inkrafttreten der Richtlinie werden freiwillige Mustervertragsklauseln entwickelt (Artikel 18).

Die Mitgliedstaaten richten einzeln oder gemeinsam spezielle Webseiten, Platt­formen oder Portale ein und betreiben diese, um Unternehmen, deren Geschäftspartner und Interessenträger zu informieren und zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sind KMU, die den Ak­tivitätsketten von Unternehmen ange­hören, besonders zu berücksichtigen (Artikel 20). 

Die Kommission richtet einen zentralen «Helpdesk» ein, bei dem Unternehmen Informationen, Leitlinien und Unterstützung mit Blick auf die Erfüllung ihrer in dieser Richtlinie festgelegten Verpflichtungen anfordern können (Artikel 21).

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