Gegen den Reformstau
Schon 1995 ist ein Weissbuch von David de Pury publiziert worden. Der Titel «Mut zum Aufbruch» liess aufhorchen. Der Eindruck war schon damals, dass die Schweiz verkalkt ist und neuen Schwung braucht, eine Reaktion auf die Immobilienkrise. Rezepte aus der damaligen Zeit sind umgesetzt worden, beispielsweise die Schuldenbremse oder das Aufräumen bei den Giesskannen des Staates.
Im Jahr 2018 war die Lage nicht problematisch, wenn wir die Wettbewerbskraft – aktuell Rang fünf – oder die Innovationskraft – aktuell Rang eins – betrachten. Avenir Suisse geht jedoch davon aus, dass der Status quo keine Lösung ist, weil die Schweiz zurückfällt. Tatsache ist, dass es Reformstau gibt und die Produktivität sich schlecht entwickelt, verbunden mit einer wachstumsschwachen Zeit von 1990 bis 2017. Aus dieser Perspektive entstehen die erwähnten sechs Szenarios für die Zukunft.
Szenarios und die EU
Zwei der Szenarien gehen von einem EU-Beitritt aus, obwohl in der Schweiz aktuell eine Zustimmung von rund 15 Prozent vorhanden ist. Avenir Suisse rechnet damit, dass sich die Wirtschaft besser entwickeln wird und dass die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Die heutige Situation mit den bilateralen Verträgen wird als Korsett betrachtet. Gibt es Alternativen? Alleingang, Isolation?
Realitätsorientierter ist das Rahmenabkommen, welches auch den Finanzbereich abdeckt. Auch hier erwartet Avenir Suisse besseres Wachstum, bessere Entwicklung von Löhnen und dem Arbeitsmarkt. Realitätsnah ist das Szenario «Club Schweiz». Wenn das Rahmenabkommen nicht zustande kommt und die Zuwanderung die bilateralen Verträge löschen sollte, dann wäre der «Club Schweiz» nötig. Zuwanderung mit Kontingenten oder die starke Ausrichtung auf Freihandelsabkommen wären im Zentrum.
Offen ist, was dieses Szenario für das Wachstum und die Beschäftigung bedeutet. Zu berücksichtigen ist, dass sich die EU verändert hat, nicht unbedingt zum Guten. Wachsendes Demokratiedefizit, Staatsschuldenkrise, Migrationspolitik, extreme Wohlstandsdifferenzen innerhalb der EU und andere sind Beispiele. Dazu kommt, dass sich die weltpolitische Lage auch stark verändert hat.
Die Schweiz im Trilemma
Demgegenüber gibt es die Schweiz, ein «Bottom-up»-Land, statt obrigkeitlich ausgerichtet. Die Schweiz kann auch nicht als «Nationalstaat» beschrieben werden. Für die Eigenständigkeit des Landes gelten direkte Demokratie, Willensnation, Föderalismus, Freiheitlichkeit oder Souveränität. Selbstverständlich müssen diese Meriten auch kritisch hinterfragt werden. Für die Schweiz geht es um das Trilemma, welches den Nationalstaat, die Einbettung in das demokratische Europa und die Globalisierung auf den Ebenen Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Ökologie mit Inhalten aufzeigt. Globalisierung plus Nationalstaat geht auf Kosten der Demokratie, Demokratie plus Nationalstaat geht auf Kosten der Globalisierung und Globalisierung plus Demokratie geht auf Kosten des Nationalstaats. Die Schweizer Vision muss vor allem die Beziehung zwischen Demokratie und Globalisierung im Auge behalten.
Nationalistische Entwicklungen stören die angesprochene Beziehung und lösen unüberbrückbare Konflikte aus. Gerade weil der Schutz einzelner Staaten mit extremen Handelsbeschränkungen angezeigt ist und Gegenmassnahmen mit Schutzzöllen zu einem Handelskrieg führen, muss sich die Schweiz in ihren Handelsbeziehungen verstärkt international auf Freihandelsabkommen ausrichten, damit die Verletzlichkeit der Wirtschaft minimiert werden kann.
Politisch eignen sich der Neutralitätsstatus und die Kultur der guten Dienste, die Streithähne zur Besinnung zu bringen oder bestehende Konflikte weniger eskalieren zu lassen. Die Schweiz verfügt durchaus über wirtschaftliches Machtpotenzial, welches nicht unterschätzt werden sollte. Die Frage ist allerdings, ob die Behördenvertreter und die Regierung sich getrauen, aus der Defensive herauszutreten.
Die Unternehmungen sind als offene, produktiv-soziale Systeme charakterisiert. Sie stellen sich den nationalen und internationalen Herausforderungen bezüglich Innovation und Wettbewerb. Die rund 480 000 Schweizer Familienunternehmen sind innovationsreif und stellen das Commitment der Familie mit der Unternehmung ins Zentrum.
Die Übereinkunft ist zentral für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Die Schweiz deckt mit ihren innovativen Nischenprodukten international wertschöpfungsstarke Industrien ab.