Das 21. Jahrhundert ist erst wenige Jahre alt, trotzdem erleben wir, wie die unternehmerische Dynamik und Komplexität weiter zugenommen haben. Unternehmen sehen sich heute mit deutlich mehr Anforderungen als vor einigen Jahren konfrontiert. Auch der Grad der Vernetzung hat spürbar zugenommen. Wie reagieren die Firmen darauf? Meist erhöhen sie die organisatorische Komplexität – die Zahl der Ziele, der Planungen, der Prozesse, der Schnittstellen und der Kontrollen – damit das Unternehmen alle Vorgaben erfüllen kann. Die aktuellen Studien zu diesem Thema zeigen, dass dies leider oft zu einer Art Hamsterrad führt. Zu Überlastung, zu Überforderung und zum Verlust des Sinnbezugs der Arbeit.
Doch gerade die erfolgreichen Firmen setzen oft auch auf eine ganz andere Lösung. Ihr Rezept lautet: wenige, zentrale Prinzipien, statt mehr von allem. Zwei dieser Erfolgsfaktoren sind die Pflege einer Vertrauenskultur sowie mehr Zutrauen (im Sinne von Empowerment der Mitarbeitenden).
Firmen, die sich in ihrer Führung an den beiden Fixsternen «Vertrauen» und «Ermächtigung» orientieren, brauchen deutlich weniger Detailregeln und Rahmenbedingungen.
Kooperation bedingt Vertrauen
Kooperation ist letztlich der zentrale Grund dafür, dass ein Unternehmen besteht. Bräuchte man keine Kooperation, würde man die betrieblichen Transaktionen über Märkte organisieren. Kooperation bedingt allerdings Vertrauen. Experimente zeigen, dass sich rund 30 Prozent aller Menschen egoistisch verhalten. 50 Prozent verhalten sich systematisch und vorhersehbar kooperativ, während 20 Prozent ein unberechenbares Muster zeigen. Wenn deutlich mehr Personen kooperativ statt eigenorientiert funktionieren, lohnt es sich, im unternehmerischen Umfeld auf Vertrauen zu setzen. Dies gilt umso stärker, je mehr es sich um eine Wissensorganisation handelt. Die meisten Leistungsfaktoren sind dort sogenannte «Intangibles» wie Know-how und Kompetenzen, die nicht eingefordert werden können.
In einer Vertrauenskultur kann der Anteil des impliziten zulasten des expliziten Vertrags erhöht werden. Der explizite Vertrag umfasst jene Regelungen (wie der Arbeitsvertrag, die Zielvereinbarungen und so weiter), die nie alles festsetzen können, sondern immer Unvollkommenheiten sowie Ermessensspielräume enthalten. Der implizite Vertrag hingegen lautet in etwa wie folgt: Der Mitarbeitende tut, was vereinbart wurde beziehungsweise was erwartet wird und gibt dabei sein Bestes. Der Vorgesetzte verzichtet auf explizite Massnahmen zur Kontrolle oder Steuerung der Arbeitsleistung. Jeder der beiden Parteien verhält sich dem «Geist» des expliziten Vertrags entsprechend.
Loyalität ist nicht käuflich
Ein Vertrauensbruch ist ein Bruch des impliziten Vertrags. Die Forschung gibt darauf eine klare Antwort, welches der richtige Umgang mit einem solchen Bruch ist: «Tit for Tat». Demnach wird das Vertrauen angeboten und wenn es bestätigt wird, resultiert ein Engelskreis. Bei einem Vertrauensbruch stellt der Vorgesetzte jedoch die Kooperation ein, und zwar entschieden und klar. Das Fehlverhalten des Mitarbeitenden wird thematisiert und sanktioniert, hat also spürbare Folgen. Nach einer angemessenen Zeit bietet der Vorgesetzte aber wiederum sein Vertrauen an. Beim mehrmaligen Fehlverhalten eines Mitarbeitenden muss allerdings eine andere Lösung gefunden werden. Aber dennoch lohnt es sich nicht, im vornherein für wenige Mitarbeitende, die das Vertrauen missbrauchen könnten, die Freiräume von vielen einzuschränken.
Loyalität und Vertrauen kann man nicht kaufen. Sie sind die Produkte von emotionalen Prozessen und die Vorleistungen der Vorgesetzten. Fragil wie etwa der Flügel eines Schmetterlings, gehören Loyalität und Vertrauen im Wissenszeitalter zu den wichtigsten Aktiven jeder Unternehmung. Denn kreative, innovative Arbeit entspringt einem unsicheren Prozess und setzt eine gewisse Risikobereitschaft sowie eine intakte Fehlerkultur in einer Atmosphäre des Wohlmeinens voraus.
Wer das Vertrauen der eigenen Mitarbeitenden will, muss vorausgehen und das Vertrauen anbieten. Den Persönlichkeiten beziehungsweise den Integrationsfiguren gelingt es, dieses Vertrauen zu schaffen. Das Schöne daran ist, dass das Vertrauen zurückkommt, weil die Reziprozität einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis entspricht. «Die Eigenverantwortung und das Zutrauen adelt den Menschen», heisst es zu Recht.
Leider werden die positiven Wirkungen einer Vertrauenskultur nicht immer gesehen: effizientes Handeln ohne permanente Absicherung (zum Beispiel mittels cc-Mails, diversen Verträgen und so weiter), die schnelle Entscheidungsfindung, der Mut zu Originalität und zum Querdenken, unkomplizierte Handschlag-Abmachungen, die Fehler, die offen zugegeben und schnell behoben werden, die intensive Zusammenarbeit oder das aufgeräumte und angstfreie Arbeitsklima. Der deutsche Autor und Vertrauensforscher Reinhard K. Sprenger spricht von «sozialem Kapital», das eine Unternehmung schnell, produktiv und erfolgreich macht. Das Gegenteil will niemand haben. Und doch führt gelebtes Misstrauen genau dorthin.